Roadmap Grossen

Update 2024

Wasserkraft und Solarstrom werden zum neuen “Dreamteam” der Schweizer Stromversorgung.

Editorial

Die Schweiz ist auf dem Weg in Richtung Netto Null. In wenigen Wochen tritt das neue Stromgesetz in Kraft, letzte Woche hat der Bundesrat das erste Paket dazu kommuniziert. Zeit für eine Zwischenbilanz. Die kürzeste Version davon: Wir sind auf Kurs, aber es bleibt viel zu tun. Eine etwas längere: Dank des Ausbaus des «Dreamteams» Wasserkraft und Solar, können wir sämtliche Schweizer Atomkraftwerke bis 2050 abstellen, müssen keine neuen bauen – und werden das Netto-Null-Ziel dennoch erreichen.

Vor vier Jahren habe ich die Roadmap Grossen das erste Mal aufgelegt: Sie begründete meinen Weg,  wie ich ihn für realistisch erachtet habe. Mit dem Ausbau von Solar-, Wasser- und Windenergie, der Steigerung der Effizienz, einem intelligenten Stromsystem (SmartGrid) und der Speicherung des Sommerüberschusses für den Winter (Power-to-X) – und ohne AKW. Im Wesentlichen blieben die Wegmarken mit dem Update 2024 dieselben. Im Hinblick auf Power-to-X und AKW gibt es jedoch neue Erkenntnisse, die hier miteinfliessen.  Mit einer auf Versorgungssicherheit optimierten Bewirtschaftung der Speicherwasserkraft kommt zudem eine neue Wegmarke dazu. Wasserkraft und Solarstrom werden so zum neuen «Dreamteam» der Schweizer Stromversorgung.

Als nächste Etappe definiert das Stromgesetz Zwischenziele bis 2035. Und wie stehen wir heute da? Ziemlich gut, finde ich – und das möchte ich mit diesem Papier auch aufzeigen. Ebenso, dass wir nach dem guten Start nicht nachlassen und den Weg konsequent weitergehen müssen.

Der Verbrauch fossiler Energie- und der Stromverbrauch pro Kopf sinken und die Solarstromproduktion steigt rasant. Der Strommarkt und sein Umfeld befinden sich im Umbruch. Die dezentrale Stromversorgung mit erneuerbaren Energien bringt Chancen, aber auch Herausforderungen mit sich – die technologische Entwicklung schreitet unaufhaltsam voran, Akzeptanz und Nachfrage für saubere Technologien steigen. Alles ist in Bewegung.

Was sich nicht verändert hat: Die Roadmap Grossen ist ein Grundlagenpapier, das die Diskussion über die Energiezukunft der Schweiz weiterhin beleben soll. Aus meiner Sicht ist die Energiewende ein Wettbewerb der Ideen – eine Form der Innovation, die der Schweiz schon immer eigen war.

Dieser Weg in Etappen entpuppt sich als Schweizer Königsweg, weil wir damit stets mit genügend Zeit auf technologische, gesellschaftliche und politische Entwicklungen reagieren können, ohne dass die Versorgungssicherheit je in Gefahr kommen darf.

Im Hinblick auf die nächste Etappe sind aus meiner Sicht Antworten auf folgende Fragen wichtig, die ich mit diesem Update 2024 zur Diskussion stelle:

  • Wie überbrücken wir eine allfällige Stromlücke im Winter?
  • Was passiert mit dem Stromüberschuss im Sommer?
  • Wie integrieren wir den Solarstrom und Elektromobilität optimal ins System?
  • Geht es wirklich ohne Atomkraft?
  • Ist der eingeschlagene Weg finanzierbar?

 

Jürg Grossen, Unternehmer und Nationalrat
Frutigen, im November 2024

 

Die damaligen Berechnungen bewahrheiten sich in der heutigen Energierealität.

 

Roadmap Grossen, Update November 2024:
Eine Standortbestimmung

Im November 2020 erschien zum ersten Mal die Roadmap Grossen. Ein Grundlagen- und Diskussionspapier, in dem ich einen möglichen Weg für eine komplett erneuerbare Energieversorgung der Schweiz skizziert, nachvollziehbar begründet und zur Diskussion gestellt habe.

Vier Jahre später zeigt sich: Die damaligen Berechnungen bewahrheiten sich in der heutigen Energierealität – und die politischen Forderungen aus der Roadmap wurden nicht nur weitgehend aufgenommen, sondern mit dem Stromgesetz auch deutlich vom Volk bestätigt (Tabellen 1 und 2).

Und es bestätigt sich ebenfalls: Die Schweiz kann sich mit den vorgeschlagenen Massnahmen ab spätestens 2050 ganzjährig und eigenständig mit erneuerbarer Energie versorgen. Die Atomkraftwerke können vor 2050 vom Netz gehen, ihre Bandenergie passt nicht zum Strommix der Erneuerbaren. Eine Winterstromlücke kann vermieden werden.

Die Roadmap definierte zu diesem Zweck fünf Wegmarken. Vier der fünf Wegmarken und ihr Zusammenspiel bleiben unabdingbar. Der Weg zur erneuerbaren Energieversorgung der Schweiz führt im Wesentlichen über die Stromeffizienz, die Elektrifizierung von Verkehr und Gebäude(heizungen), den Photovoltaik-Ausbau sowie ein intelligentes Stromsystem (Harmonisierung von Produktion und Verbrauch).

Als neue Wegmarke wird eine auf Versorgungssicherheit optimierte Bewirtschaftung der Speicherwasserkraft definiert. Diese Massnahme ermöglicht eine Stromversorgung, die ganzjährig mit dem neuen «Dreamteam» Wasserkraft und Solarstrom sichergestellt wird. Die Saisonspeicherung mittels Power-to-X hingegen wird neu zu einer von mehreren interessanten Optionen. Einerseits für eine optimierte Selbstversorgung (Resilienz), andererseits für den fossilfreien Betrieb von Industrieprozessen, Bau- und Landmaschinen, Schiffs- und Flugverkehr. Power-to-X ist für die Resilienz besonders dann eine sinnvolle Lösung

  • wenn die Stromeffizienz wie im Stromgesetz gefordert (nur) zu 26 Prozent umgesetzt würde (statt wie in der Roadmap Grossen beschrieben zu 40 Prozent)
  • wenn Import nicht möglich wäre
  • und wenn die Bewirtschaftung der Speicherwasserkraft weiterhin marktorientiert betrieben statt auf Versorgungssicherheit ausgelegt würde.

Tabelle 1: Wie wurden die 5 Wegmarken der Roadmap Grossen 2020 umgesetzt.
Quellen: Energiegesetz, Potenzial-Analyse UVEK, Swiss eMobility, Statista, Energie-Dashboard Schweiz BFE, Stromversorgungsgesetz, SmartGridready

Tabelle 2: Wie wurden die politischen Forderungen der Roadmap Grossen 2020 umgesetzt.

Im Stromgesetz stehen ambitionierte Ausbau- und Effizienz-Ziele.

 

Am 9. Juni 2024 hat die Stimmbevölkerung das neue Stromgesetz mit 69 Prozent Zustimmung klar angenommen. Dieses Ja verlangt eine Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien, entsprechend wurden ambitionierte Ziele beschlossen: Etwa der Ausbau auf 45 Terawattstunden (TWh) aus erneuerbaren Quellen neben der Wasserkraft bis 2050; davon wurden bis heute bereits rund 7 TWh realisiert. Die Solarenergie mit einem theoretischen Produktionspotenzial von über 100 TWh soll am meisten zur Zielerreichung beitragen. Auch bei der Energieeffizienz wurden mit dem Gesetz ambitionierte Ziele beschlossen (siehe Abschnitt «Herleitung Entwicklung Stromverbrauch bisher und bis 2050»).

Dass die Schweiz auf gutem Weg ist, zeigen folgende Fakten:

  • Die PV-Produktion deckt 2024 bereits 11 Prozent des Stromverbrauchs der Schweiz; Anteil stark steigend. Damit ist die Schweiz gemäss Vorgaben des neuen Stromgesetzes auf Zielkurs.
  • Allein die 2023 und 2024 erstellten Solaranlagen produzieren jährlich mehr Strom als das inzwischen abgeschaltete AKW Mühleberg in einem Jahr lieferte.
  • Die in der Schweiz aktuell installierten Solaranlagen produzieren rund 27 Prozent ihrer Jahresproduktion im Winterhalbjahr. Einen wesentlichen Anteil davon produzieren sie im versorgungskritischen Monat März, wenn die Speicherseen praktisch leer sind.
  • Der Gesamtenergieverbrauch der Schweiz sinkt dank der Elektrifizierung und der Effizienz seit 2010 kontinuierlich. Dies, obwohl Bevölkerung, Wirtschaft und Mobilität stark gewachsen sind. Elektrifizierung an sich bedeutet schon eine grosse Steigerung der Effizienz: Elektroautos haben einen zwei- bis dreimal so hohen Wirkungsgrad wie Autos mit Verbrennungsmotoren, Wärmepumpen nutzen vorhandene Umgebungswärme und sind im Durchschnitt viermal so effizient wie fossile Heizungen.
  • Der Stromverbrauch ist trotz des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums, trotz fast einer halben Million installierter Wärmepumpen und rund 200’000 Elektroautos stabil. Der Verbrauch pro Kopf sinkt dank effizienterer Geräte und Systeme deutlich. Energie- und Stromeffizienz übertreffen die gesteckten Zwischenziele, haben jedoch weiterhin grosses Potenzial. Das hält das Bundesamt für Energie in seinem Bericht «Betrieb ohne Nutzen» fest.
  • Die Schweiz produziert 2024 so viel Strom wie noch nie. Energie-Dashboard Bundesamt für Energie
  • Die Schweiz exportierte selbst im Winterhalbjahr (Oktober–März) 2023/2024 rund 2 TWh Strom. Eine echte Stromlücke besteht nicht.
  • Solarstrom trägt auch im Winterhalbjahr viel zur Versorgung bei und kann dank smartZEV und SmartGridready netzschonend ins Stromsystem integriert werden, wie das Netto-Null-Gebäude der Firma elektroplan Buchs & Grossen AG in Frutigen beispielhaft zeigt.

Der Weg bis 2050

Das neue Stromgesetz schafft Rahmenbedingungen, welche die Energiewende und damit auch das Ziel Netto Null der Schweiz bis 2050 ermöglichen; im Kern wurden damit die politischen Forderungen der Roadmap Grossen aus dem Jahr 2020 übernommen. Der Stromverbrauch wird  mit der Elektrifizierung von Verkehr und dem Ersatz fossiler Heizungen ansteigen. Um die erneuerbare Stromversorgung auch im Winter sicherzustellen, muss neben dem Ausbau von Sonnen-, Wind-, Biomassen- und Wasserkraft insbesondere die Bewirtschaftung der Speicherwasserkraft den neuen Bedingungen angepasst werden.

Abbildung 1: Im Laufe der Zeit werden Wasserkraft und Solarstrom zum neuen “Dreamteam” der Schweizer Stromversorgung, die AKWs gehen vom Netz.

Abbildung 4 bestätigt: Die Schweiz kann sich ab spätestens 2050 ganzjährig, eigenständig und komplett mit erneuerbarer Energie versorgen.

Abbildung 2: Die Schweiz kann sich ab spätestens 2050 ganzjährig, eigenständig und komplett mit erneuerbarer Energie versorgen.

Die Stromversorgung im Winter wird vorwiegend durch eine auf Versorgungs- sicherheit optimierte Stromproduktion der Speicherwasserkraft sichergestellt.

 

Die Stromversorgung im Winter wird vorwiegend durch eine auf Versorgungssicherheit optimierte Stromproduktion der Speicherwasserkraft sichergestellt. Der Ausbau der Wasserkraft (16 Projekte aus dem Stromgesetz) erhöht die Gesamtkapazität der Speicherseen um rund 2 TWh. Mit der optimierten Bewirtschaftung werden die Speicherseen von Ende Oktober bis Ende Februar entleert (mit lila Linien dargestellt). In diesem Szenario wird in Kauf genommen, dass die Speicherseen Ende Februar im Extremfall (in dem kein Import möglich ist) bis auf ein Minimum leer sind. Ab März kann wieder mit Solarstrom in ausreichenden Mengen gerechnet werden, so dass die Versorgung sichergestellt ist. Zusätzliche Entlastung bei der Winterstromversorgung könnten saisonale Wärmespeicher, Geothermie sowie zusätzliche Stromproduktion aus Wind- oder Biomasse bringen.

Der Stromüberschuss im Sommer kann exportiert, in Saisonwärmespeichern verbraucht oder mittels Power-to-X in Wasserstoff oder synthetische Treibstoffe umgewandelt werden (Säulenfläche oberhalb der roten Verbrauchslinie von April bis September). Eine zentrale politische und wirtschaftliche Sicherheit bringt ein Stromabkommen mit der EU, um die im Stromgesetz definierte maximale Menge Importstrom (rote Balken) im Winterhalbjahr sicherzustellen.

Besteht die politische Forderung nach zusätzlicher Sicherheit, liegt der Betrieb bereits vorhandener Notstrom-Aggregate in Spitälern, Verteilzentren et cetera bei einer Mangellage nahe. Mit einer definierten Anzahl X-to-Power-Kraftwerke liesse sich die Resilienz weiter erhöhen.

Herleitung Bewirtschaftung Speicherwasserkraft

Die heutige Stromproduktion aus Speicherwasserkraft ist stark vom internationalen Markt getrieben (siehe Abbildungen 3 und 4). Mit dem Ergebnis, dass im Oktober und November 2024 ein Grossteil des Stroms aus Speicherkraft exportiert wurde, obwohl der Füllstand der Speicherseen am 25. November bei lediglich 68.6 Prozent lag. Im heutigen Marktumfeld kann dies durchaus Sinn machen. Mit einem optimalen Stromabkommen mit der EU wäre diese Marktorganisation auch in Zukunft eine gute Lösung. Mit Blick in die Zukunft empfehlen sich im Falle ohne oder mit einem mangelhaften Stromabkommen sowie aus Resilienzgründen jedoch regulatorische Anpassungen im Bereich der Winterreserve, falls sich der Markt nicht automatisch an die dannzumaligen Gegebenheiten anpassen sollte. Die Schweiz hat für essentielle Güter sogenannte Pflichtlager. Strom ist unverzichtbar für Gesellschaft und Wirtschaft und gehört zu diesen Gütern. Aus diesen Gründen muss die Winterreserve in den Speicherseen in Zukunft konsequenter so bewirtschaftet werden, dass sie bis Ende Februar auch extreme Wettersituationen abfangen kann (Pflichtlager Strom). So könnte beispielsweise die Produktion aus Speicherwasserkraft regulatorisch so lange beschränkt bleiben, bis die Speicherseen maximal gefüllt sind und das gesamte Produktionspotenzial bis Ende des kommenden Februars den bis dahin erwarteten Bedarf decken kann. Ab März kann wieder mit Solarstrom in ausreichenden Mengen gerechnet werden. Diese neue Flexibilität für die Speicherwasserkraft ergibt sich erst dank dem starken Ausbau der Photovoltaik.

Die folgende Abbildung 3 illustriert die «Stromvergoldung» im Oktober/November 2024. Die schwarz-weiss schraffierte Fläche zeigt die Stromproduktion für den Export zu Lasten der Versorgungssicherheit. Die Speicherseen waren deshalb am 25. November nur noch zu 68.6 Prozent gefüllt (Abbildung 4). Die Speicherseen wurden mit einem isolierten Blick auf die Versorgungssicherheit zu früh und zu schnell entleert. Ähnliche Muster waren schon in den vergangenen Winterhalbjahren zu beobachten.

Abbildung 3: Strom aus Speicherwasserkraft wird aus wirtschaftlichen Gründen exportiert. Quelle

Abbildung 4: Die Speicherseen waren Ende Sommer voll. Ende November sind sie nur noch zu rund 68% voll. Quelle

Die Stromeffizienz ist und bleibt ein zentraler Pfeiler der Roadmap Grossen

Herleitung Entwicklung Stromverbrauch und -effizienz bisher und bis 2050

Die Stromeffizienz ist und bleibt ein zentraler Pfeiler der Roadmap Grossen. Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum haben sich seit 2010 vom Stromverbrauch entkoppelt. Diese Entwicklung ist signifikant und die Prognosen gehen davon aus, dass sie sich fortsetzt. Der Landesverbrauch steigt deshalb und dank dem Roadmap-Ziel von 40% Stromeffizienz  von heute 60 TWh nur moderat auf 71.3 TWh bis im Jahr 2050 an. Die Speicher-, Umwandlungs- und Leitungsverluste (heute 5.6 TWh und im Jahr 2050 8 TWh) sind dabei eingerechnet. Die Statistiken unterscheiden zwischen Endverbrauch und Landesverbrauch. Die Differenz entspricht den Verlusten (Endverbrauch plus Verluste gleich Landesverbrauch). Das im Stromgesetz festgelegte Ziel beim absoluten Stromverbrauch pro Kopf (minus 5 Prozent gegenüber Jahr 2000; Art. 3 Abs.2) entspricht 26% Stromeffizienz bis 2050 (rot gestrichelte Linie in Abbildung 2).

Abbildung 5: Die bisherige und die prognostizierte Entwicklung des pro-Kopf-, des End- und des Landesverbrauches gemäss Stromgesetz (26% Stromeffizienz) und Roadmap Grossen (40% Stromeffizienz).

Wie gross das Effizienzpotential ist, zeigt das Netto-Null-Gebäude der Firma elektroplan Buchs & Grossen AG in Frutigen eindrücklich auf. Die Wirkung der Stromeffizienz – der Minderverbrauch dank intelligenter Energienutzung – reduziert den Mehrverbrauch durch das Firmen- und Wirtschaftswachstum und die komplette Elektrifizierung der Firmen-Poolfahrzeuge deutlich.

Spätestens im Jahr 2050 spielen AKW für die Stromversorgung der Schweiz keine Rolle mehr.

Exkurs Atomkraftwerke

Kraftwerke, die neu erstellt werden, müssen in der Art der Stromproduktion zum beschlossenen Strommix 2050 aus Wasser, Solar, Wind und Biomasse passen. Beim Atomstrom ist dies nicht der Fall: Ein AKW liefert im Betrieb ständig und konstant Strom –  egal, ob die Energie gebraucht wird oder nicht. Diese sogenannte Bandenergie überlastet das System; theoretisch müssten/könnten die AKW ab spätestens 2035 von März bis November abgestellt werden; mit entsprechenden Auswirkungen auf die Rendite. Spätestens im Jahr 2050 spielen AKW für die Stromversorgung der Schweiz keine Rolle mehr.

Abbildung 6: Die Stromproduktion aus AKW (graue Säulen) im Jahr 2050 liegt ganzjährig über dem Verbrauch (rote Linie).

Der Bundesrat schlägt im Rahmen eines Gegenvorschlages zur «Blackout-Initiative» vor, das Neubauverbot für AKW aufzuheben. Diese Aufhebung wäre dann angezeigt, wenn auch tatsächlich neue AKW gebaut werden sollten. Dieser Weg macht aber aus den oben genannten Gründen weder technisch noch ökonomisch Sinn.

Neue AKW widersprechen zudem den Kundenbedürfnissen:  Wirtschaft und private Strombezüger kaufen heute zu 78 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen und nur zu 20,5 Prozent aus AKW, wie ein Bericht von Pronovo zeigt. In den vergangenen Jahren haben AKW gut 30 Prozent zur Stromproduktion beigetragen, weshalb rund ein Drittel des Schweizer AKW-Stroms in der Herkunftsbilanz exportiert werden musste.

In den Wintermonaten wäre die eigenständige Stromversorgung ohne AKW und ohne Import nicht gesichert.

Die Etappe bis 2035

Im Stromgesetz ist das Jahr 2035 als Etappenziel festgelegt. Dieses Ziel stimmt mit der Roadmap Grossen überein, die Versorgung sieht 2035 wie folgt aus:

  • Die Schweiz versorgt sich mit einem Mix aus erneuerbaren Quellen sowie den AKW Gösgen und Leibstadt.
  • Beznau I und II sind nicht mehr am Netz.
  • Von März bis Oktober sind AKW für die Stromversorgung irrelevant.
  • In den Wintermonaten wäre die eigenständige Stromversorgung ohne AKW und ohne Import nicht gesichert. Mit dem im Stromgesetz vorgesehenen maximalen Import von 5 TWh im Winterhalbjahr sind die AKW jedoch bereits ab 2035 verzichtbar. Wie lange ein Weiterbetrieb als Resilienz-Kraftwerke noch Sinn macht, hängt u.a. von der Entwicklung der Technologien sowie von geopolitischen und unseren energiepolitischen Entscheidungen ab.

Abbildung 7: AKW-Strom brauchen wir nur noch in den Monaten November bis und mit Februar.

Kosten

Über alle Investitions- und Betriebskosten gesehen, sinken die jährlichen Energiekosten für die Konsument:innen gegenüber dem Szenario «Weiter wie bisher». Das belegt eine Studie der ETH Zürich zur Roadmap Grossen. Das bedeutet auch: Der eingeschlagene Weg ist finanzierbar.

Die Kosten für den Umbau des Energiesystems auf «Netto Null» bis 2050 hängen von verschiedenen Faktoren ab. Dazu zählen technologische Entwicklungen, politische Entscheidungen ebenso wie gesellschaftliche Veränderungen.

Zum Energiesystem gehören:

  • Infrastrukturen zur Energieproduktion und -Umwandlung (Wasserkraftwerke, PV-Anlagen, Biomasseanlagen, Windenergieanlagen, Power-to-X-Anlagen, etc.)
  • Infrastrukturen zur Energieverteilung (Stromnetze, Gasnetze, Transformatoren, Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität, etc.)
  • Die Energieverbraucher (Anlagen, Gebäude, Geräte, Motoren, etc.)

Alle diese Elemente des Energiesystems müssen gebaut, betrieben, unterhalten, saniert, sowie alters- oder technologiehalber einmal ersetzt werden – mit entsprechenden Kostenfolgen.

Kosten für den Umbau «Netto Null» auf Basis der Energieperspektiven 2050+ des Bundesamts für Energie (BFE)
Die Kosten entsprechen den Zusatzkosten des Szenarios «Netto Null» gegenüber dem Szenario  «Weiter wie bisher».

Investitionskosten
Für die energetische Erneuerung, Modernisierung und den Ersatz bestehender Energieinfrastrukturen, Gebäude, Anlagen, Geräte und Fahrzeuge beträgt der zusätzliche Investitionsbedarf 109 Milliarden Franken bis 2050.

Betriebskosten
Die zusätzlichen Betriebskosten für die Wärmeerzeugung in Gebäuden (ohne Energiekosten), Haustechnikanlagen, Fahrzeugunterhalt, Betrieb und Unterhalt der Strom- und Fernwärme-Erzeugungsanlagen sowie Unterhalt der Stromnetzen betragen bis 2050 rund 14 Milliarden Franken.

Energiekosten
Die fossilen Energien verschwinden bis 2050 komplett aus dem Energiesystem. Hohe Milliardenbeträge für Öl-, Gas und Uran fliessen dannzumal nicht mehr ins Ausland ab (im Schnitt rund 12 Milliarden Franken).  Gleichzeitig wird die Energieeffizienz verbessert. So können bis 2050 rund 50 Milliarden Franken an Energiekosten eingespart werden.

Fazit der Kostenstudie der ETH Zürich zur ersten Version der Roadmap Grossen

  • Die Roadmap Grossen ist machbar, d.h. in jeder Stunde der untersuchten Jahre (2030, 2040 und 2050) kann die Schweizer Stromnachfrage mit der inländischen Erzeugung gedeckt werden.
  • Die Roadmap Grossen weist geringere Stromgestehungskosten auf als das Szenario «Weiter wie bisher».
  • Die Roadmap Grossen enthält eine hohe inländische Wasserstoffproduktion und Investitionen in X-to-Power Kapazitäten, was im Vergleich zu anderen Szenarien teurer ist. Wenn der Stromhandel mit den Nachbarländern jedoch eingeschränkt werden sollte, wird die Roadmap Grossen zum günstigsten Szenario.

Mit dem Update 2024 der Roadmap Grossen wird der kostenintensive Aufbau von grossen Power-to-X-Kapazitäten zu einer bedarfsorientierten Option. Die Kosten für den Umbau des Energiesystems können damit wirksam optimiert werden.

 Erwähnenswerte Aspekte zu den Kosten:

  • Heute sind wir zu rund 70 Prozent von ausländischen fossilen Energiequellen und Uran abhängig. Durch die vollständige Elektrifizierung und dem Ausstieg aus den fossilen Energien werden massive Kostenverschiebungen stattfinden.
  • Ein stabiles Stromsystem basiert auf mehreren, in einem optimalen Mix zusammengefügten Kraftwerktypen und einem effizienten Stromnetz. Der eingeschlagene Weg der Schweiz – das geht in den Diskussionen gerne vergessen – geht mit einem grundlegenden Systemwechsel einher. Heute herrscht grösstenteils die Situation, dass grosse, zentrale Kraftwerke die Bürger:innen, das Gewerbe und die Industrie über die Stromnetze versorgen. Zukünftig werden es zahlreiche kleinere, dezentrale Kraftwerke und lokal organisierte Stromsysteme sein. Und damit ändert sich auch die Finanzierung fundamental.
  • Die Investitionen in die zentralen Grosskraftwerke sowie in das dafür notwendige Steuerungs- und Speichersystem tätigte bis vor wenigen Jahren im Wesentlichen die Stromwirtschaft im Besitz der Kantone und Gemeinden. Die Kosten wurden und werden über die Strompreise auf die Konsument:innen abgewälzt.
  • Die Investitionen für die dezentralen Kraftwerke wie Photovoltaik-Anlagen hingegen werden zu einem wesentlichen Teil von den Bürger:innen, KMU und Grossfirmen getragen. Nicht alle Kosten dieser Investitionen werden dabei den Stromkonsument:innen weitergegeben.
  • Die Verteilnetzstudie des BFE zeigt, dass bis ins Jahr 2050 auch ohne weitergehende energiepolitische Ziele Investitionen von rund 45 Milliarden Franken für den Erhalt und den Ausbau der Stromnetzinfrastruktur in der Schweiz notwendig werden. Für den massiven Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion und die flächendeckende Elektrifizierung von Mobilität und Wärme müssen weitere 37 Milliarden Franken in die Stromnetze investiert werden (siehe Studie Tabelle 1.3). Die Studie macht ebenfalls deutlich, dass der Ausbaubedarf massiv reduziert werden kann: Durch Spitzenkappung, netzorientiertes Verhalten mit Anreizen über (dynamische) Strom- und Netztarife und intelligente Steuerungen sowie dem optimalen Einsatz der Flexibilitäten. Die Investitionen in diese intelligenten Energie- und Leistungs-Managementsysteme werden in den meisten Fällen von den PV-Besitzer:innen bei der Installation der Anlage ohnehin getätigt. Gemäss Tabelle 1.2 der BFE-Studie können durch die Kombination verschiedener Massnahmen die Ausbaukosten um bis zu 22 Milliarden Franken (60 Prozent) reduziert werden.

Politische Forderungen

Um die Ziele Netto Null bis 2050 und eine vollständig erneuerbare Energieversorgung der Schweiz zu erreichen, sind folgende Massnahmen nötig:

  • Resilienz und Unabhängigkeit. Der rasche Ausbau der Wasserkraft mit den im Stromgesetz 16 Projekten ist unabdingbar, um genügend Speichervolumen und Flexibilität zu erlangen. Zudem braucht es eine Festlegung klarer politischer Rahmenbedingungen für eine dauerhaft sichere Stromversorgung für die Schweiz und die Umsetzung der entsprechenden Massnahmen. Dazu gehört unter anderem die Festlegung zur auf Versorgungssicherheit optimierten künftigen Bewirtschaftung der Speicherkraft. Die saisonale Wärmespeicherung ist zu fördern und Hürden sind abzubauen.
  • Stromabkommen mit der EU. Eine Vereinbarung ist als verlässliche Grundlage für eine langfristig wirtschaftliche und sichere Stromversorgung unerlässlich.
  • Energieverbrauch ohne Nutzen. Bei der Effizienz besteht weiterhin grosses Verbesserungspotenzial. Die Effizienzprogramme von Bund, Kantonen und Gemeinden sind zu intensivieren. Die Auflagen für Verteilnetzbetreiber zu den Stromeffizienz-Massnahmen im Stromgesetz sind durch den Bundesrat wirkungsorientiert auszugestalten. Siehe: «Energieeffizienzsteigerungen durch Elektrizitätslieferanten» und «Potenzial und Massnahmen zur Steigerung der Stromeffizienz bis 2025».
  • Abbau von Hürden zur Elektrifizierung von Verkehr und Gebäuden. Mit einer Erhöhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffen sollen stärkere Anreize für den Ersatz fossiler Gebäudeheizungen geschaffen werden. Bürokratische Hürden für Gebäude- und Heizungssanierungen müssen abgebaut werden. Mieter:innen sollen Zugang zu Ladestationen für Elektroautos haben. Eine entsprechende Motion ist vom Nationalrat angenommen und im Ständerat hängig: Laden von Elektroautos im Mietverhältnis und Stockwerkeigentum.
  • Lokal optimierte Integration von Solarstrom und Elektromobilität. Die Verordnung zum Stromgesetz muss vom Bundesrat so ausgestaltet werden, dass sich der Ausbau der Photovoltaikanlagen langfristig fortsetzt und der Solarstrom optimal ins Stromnetz integriert wird. Das bedeutet: Maximale Anreize für virtuelle Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (vZEV) und für lokale Elektrizitätsgemeinschaften (LEG), so wie es das Parlament im Stromgesetz festgelegt hat. Mittels Tarifanreizen der Verteilnetzbetreiber sollen die Strombezüger zudem dazu bewegt werden, mit intelligenten Steuerungen die dezentrale Stromproduktion optimal mit dem Verbrauch in Einklang zu bringen. Die Marktgestaltung mit Energie- und Netztarifen ist so anzupassen, dass der Ausbau der Solarenergie weiterhin auf dem Zielpfad fortschreitet und gleichzeitig die Integration ins Stromnetz optimal erfolgt.
  • Intelligenter Um- und Ausbau der Netze. Der Beschleunigungserlass Netze muss rasch beraten und umgesetzt werden. Der Smart-Meter-Rollout muss rasch realisiert werden, damit sich intelligente Anwendungen etablieren können. Tarifanreize für Regelenergie und intelligente Netze (etwa mit dem Label SmartGridready) müssen von den Verteilnetzbetreibern und Energieversorgern umgesetzt werden.
  • Power-to-X. Die Schweiz soll sich aktiv an der Förderung und Forschung der Power-to-X-Technologie beteiligen, sowie die Planung und Umsetzung von Projekten in der Schweiz vorantreiben. Dies ermöglicht es, Resilienzkraftwerke, Industrieprozesse, Bau- und Landmaschinen, sowie Schwer-, Schiffs- und Flugverkehr fossilfrei zu betreiben. Hierzu ist eine Motion eingereicht, sie wird vom Bundesrat abgelehnt, im Nationalrat noch nicht behandelt: Mehr Versorgungssicherheit im Winter. Mühleberg und Beznau als Standorte für Power-to-X-Anlagen umnutzen.
  • Elektromobilität als Teil der Lösung. Mit dem schnell wachsenden Anteil an Elektrofahrzeugen geht eine Zunahme an verfügbarer Speicherkapazität einher. Es gilt Rahmenbedingungen zu schaffen, die zur wirkungsvollen Integration mobiler Batteriespeicher ins Stromsystem beitragen (Bidirektionales Laden, Vehicle to Grid). Siehe dazu auch Studie ETH Zürich.

 

Die Schweiz kann sich bis 2050 komplett erneuerbar, CO2-neutral und eigenständig mit Energie versorgen. Und das zu tieferen Kosten als bisher. Davon bin ich überzeugt.

Jürg Grossen,
Unternehmer und Nationalrat

Résumé

Die Schweiz befindet sich auf gutem Weg, ihre Ziele bis 2035 und auch bis 2050 zu erreichen. Unser Land kann sich ab spätestens 2050 eigenständig und komplett mit erneuerbarer Energie versorgen – trotz beinahe kompletter Elektrifizierung und mit Netto Null.

Neben der Stromeffizienz und dem starken Ausbau der Solarenergie ist die optimierte Bewirtschaftung der Speicherwasserkraft ein zentraler Schlüssel zur Eigenständigkeit. Das neue «Dreamteam» Wasserkraft und Solarstrom macht es möglich. Für zusätzliche Versorgungssicherheit und Resilienz sowie den fossilfreien Betrieb von Bau- und Landmaschinen, Schiffs- und Flugverkehr, ist Power-to-X eine sinnvolle Option. Über Power-to-X-to-Power kann zudem der Stromüberschuss der Sommermonate in die aus Sicht der Versorgung kritischen Wintermonate übertragen werden.

Über alle Investitions- und Betriebskosten gesehen sinken die jährlichen Energiekosten für die Konsument:innen gegenüber dem Szenario «Weiter wie bisher». Das belegt eine Studie der ETH Zürich zur Roadmap Grossen. Das bedeutet auch: Der eingeschlagene Weg ist finanzierbar.

 

Dank

Ich bedanke mich herzlich bei meinen Co-Autoren Selina Davatz und Mario Rubin, beide Energieberater in unserer Firma. Ein Riesendank geht an die ganze elektroplan Buchs & Grossen AG, welche diese Roadmap erst möglich macht. Ein grosses Dankeschön geht an die zahlreichen Fachpersonen, die mein Update 2024 kommentiert und Inputs geliefert haben, so Stefan Batzli aeesuisse, Fabian Etter Swisscleantech, Thomas Nordmann TNC Consulting AG, Barbara Schaffner GLP, Matthias Egli und David Stickelberger Swissolar, Alexander Keberle Economiesuisse, etc.

Mein Dank geht zudem an alle Unterstützerinnen und Unterstützer sowie an alle engagierten Energie-Fachspezialisten in Unternehmen, Verbänden, Organisationen, Verwaltung und Politik für ihren täglichen Einsatz zugunsten der Energiewende.

 

Impressum
Autor: Jürg Grossen, Frutigen
Co-Autoren: Selina Davatz, Bleiken, und Mario Rubin, Frutigen
Mitarbeit: Nicola Brusa, Yverdon
Berechnungen und Grafiken: Mario Rubin, Frutigen
Fotos: Startbild Ales Krivec, Abschlussbild Quentin Menini, Simon Zangger, Zürich (Porträt)
Umsetzung Online: Maximilian Rosenberger, Damjan Schertenleib, itlink.swiss